Nach der Kontroverse um eine Preisverleihung der antisemitischen Aluhut-Plattform “Neue Rheinische Zeitung” an Ken Jebsen, haben sich Katja Kipping und Bernd Riexinger im Namen des Parteivorstands mit dem Antisemiten und Querfrontler Diether Dehm solidarisiert und konterkarieren damit erneut die beschlossene „[k]lare Kante gegen Querfront“.
Hintergrund ist ein Artikel in der Frankfurter Rundschau, der den Antisemitismusbegriff von Diether Dehm kritisiert und ausführt:
Solange Figuren wie Dehm glauben bestimmen zu können, was Antisemitismus ist, hat der Antisemitismus in Deutschland keinen Widerstand zu fürchten. So lange ist auch Kritik an der israelischen Regierung kaum möglich, ohne in den Verdacht zu geraten, Antisemit zu sein. „Israelkritik“ ist eine Maskerade der Antisemiten vom Schlage Dehms.
Diether Dehm hatte 2009 in Kassel eine Ansprache zu Antisemitismus gehalten und folgende Definition gegeben:
Der Antisemitismus wurde das, was er wirklich ist: Eine massenmordende Bestie. Und deswegen dürfen wir nicht zulassen, dass man den Begriff des Antisemitismus für Alles und Jeden inflationiert. Antisemitismus, das ist Massenmord! Und es gibt überhaupt keinen Anlass, wenn mein Kollege und Freund Rolf Becker hier spricht, wenn von irgendeiner Seite dazwischengepöbelt wird Antisemitismus. Antisemitismus ist Massenmord und muss dem Massenmord vorbehalten bleiben!
Dehms Antisemitmus-Definition ist eine Täter-Opfer-Umkehr und ignoriert, dass der Massenmord nicht unvorhersehbar vom Himmel fiel, sondern gerade erst durch Antisemitismus und den damit verknüpften Verschwörungserzählungen um eine angeblich übergroße Macht von Jüdinnen und Juden möglich wurde. Kurz: Antisemitismus, dem der Vernichtungswunsch quasi als Akt der Selbstverteidigung eingeschrieben ist, führt zum Massenmord, weshalb er in seinen frühesten Formen bekämpft gehört und nicht erst wenn Jüdinnen und Juden bedroht werden und um ihre Sicherheit fürchten müssen.
Doch das Kipping-Riexinger-Papier macht noch eine von Diether Dehm 2015 bei Facebook veröffentlichte Klarstellung geltend, in der dieser Kritik als „Mundkot“ bezeichnet und behauptet, er hätte natürlich nur den Antisemitismus nach Auschwitz gemeint, was nicht nur eine Umdeutung seiner eigenen Worte ist, sondern Antisemitismus erneut verharmlost. Und wie um die eigene Posse zu beweisen, lässt Diether Dehm sich an dieser Stelle einen Persilschein von Abraham Melzer ausstellen, einem der liebsten jüdischen Kronzeugen deutscher „Israelkritiker“, dessen bloßes Jüdischsein immer wieder angeführt wird, um sich gegen jede Kritik zu immunisieren. Abraham Melzer schreibt und Diether Dehm zitiert:
Und wenn jemand vom amerikanischen Ostküste-Kapitalismus redet, dann erkenne ich als Jude darin noch nicht den bösen, radikalen Antisemiten und wenn jemand eine böse Karikatur des jüdischen Milliardärs Zuckermann als Inhaber von Facebook macht, dann meint er nicht unbedingt den Juden, sondern er könnte auch den Milliardär und Kapitalisten und Partner des Kapitals sehen, der in den USA bestimmt nicht nur in jüdischer Hand ist.
Man muss sich angesichts des Spotts Melzers über bekannte antisemitsche Codes und Umwegskommunikation, über die seit und gerade wegen der Shoah Judenhass transportiert wird, nicht über die Zustimmung anderer bekannter Antisemiten, Islamisten und Nationalisten wundern, die in der Kommentarfunktion den Begriff des Antisemitsmus noch weiter verzerren und verdrehen – Aussagen übrigens, die bis heute weder zurückgewiesen noch gelöscht worden sind.
Haben Katja Kipping und Bernd Riexinger das Schreiben, das sie hier für Diether Dehm auslegen, samt der Reaktionen nicht gelesen? Oder teilen sie diese Auffassung von Antisemitismus gar? Wie kommt man sonst dazu, ausgerechnet Diether Dehm noch Rückendeckung zu geben? Man weiß es nicht und weder Kipping noch Riexinger haben sich trotz mehrfachen Nachfragens bisher dazu geäußert.
Klare Kante gegen Querfront?
Wer glaubt jedes Maß der Toleranz sei nach dem Debakel um die Jebsen-Aluhut-Preisverleihung und des von Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke mitinitiierten Shitstorms gegen den eigenen Parteigenossen Klaus Lederer überschritten, der irrt. Entgegen eines Partei-Beschlusses, der eine klare Kante gegen Querfront sein wollte, haben sich Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke am Donnerstag erneut vor dem Kino Babylon mit Antisemiten, Shaohleugnern und Nazis gemein gemacht. Aber nicht das führt zur erregten Kritik des Parteivorstands, nein, man echauffiert sich über einen Artikel, der Dehms Antisemitismus kritisiert und ihn als das bezeichnet, was er ist!