Vor zwei Jahren durchbrachen mehrere hundert Menschen eine Polizeiabsperrung und stürmten auf die Treppe des Bundestags. Es war eine Ansammlung aus Verschwörungsgläubigen, Reichsbürger*innen, AfDlern und Neonazis. Wie konnte es zu dieser Szenerie kommen und wer war dabei?
von Kira Ayyadi und Friedensdemo Watch
Es war ein symbolischer Regierungsumsturz: Am 29. August 2020 kurz nach 19:00 Uhr durchbrachen mehrere hundert Menschen die Sicherheitsabsperrungen und stürmten auf die Treppen des Bundestags. Verschwörungsgläubige, Neonazis, Partei-Funktionäre der AfD und deren Anhängerschaft – einige mit Kleinkindern auf den Schultern – schwenkten vollkommen unbehelligt und euphorisch schwarz-weiß-rote Reichsfahnen vor den Türen des Regierungssitzes. Andere versuchten in das Gebäude hineinzugelangen und wurden von einer Handvoll Polizisten mit Körpereinsatz daran gehindert. Erst 10 Minuten später erschien eine größere Polizeieinheit, die das Geschehen unterbrach. Mit Pfefferspray wurde die aufgebrachte Menge von den Treppen befördert und das Gebäude gesichert. Etliche leisteten Widerstand oder griffen die Beamt*innen an, mindestens ein Teilnehmer setzte ein Gas auch gegen die Einsatzkräfte ein. Wie konnte es zu dieser denkwürdigen Szenerie kommen?
Vorprogrammiert und dennoch nicht unterbunden: Eine Rekonstruktion des Geschehens vor dem 29. August 2020
Der Großteil der beteiligten Personen, die später euphorisch minutenlang eine Machtdemonstration auf den Treppen des Bundestags abhalten sollten, löste sich aus einer Versammlung des Ex-NPD-Funktionärs Rüdiger Hoffmann heraus, die dieser als Dauerkundgebung direkt vor dem Gebäude angemeldet hatte. Der vormals Klasen heißende Hoffmann wurde bereits mehrfach verurteilt. Unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Brandstiftung, versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie Beleidigung und übler Nachrede. 1994 wurde der damals 27 Jahre alte Neonazi rechtskräftig zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wegen versuchten Mordes verurteilt.
Spätestens seit 2013 träumt Hoffmann von der Erstürmung des Bundestags, veranstaltete als Kopf der Kleingruppe „Staatenlos“ dazu mehrere Kundgebungen, die genau das zum Ziel hatten. In seiner Ideologie vertritt Hoffmann die Auffassung, dass die Bundesrepublik sich immer noch im Kriegszustand befinde und von einem faschistischen Regime befreit werden müsse. Den Regierungsumsturz verkehrt der Neonazi damit in einen antifaschistischen Akt. Später zeigte er mit einer Art Infostand Dauerpräsenz vor dem Regierungsgebäude, wurde dabei aber nur von einer Handvoll Gleichgesinnter unterstützt. In Verfassungsschutzberichten findet er mit seiner Kleingruppe immer wieder Erwähnung. Von den Corona-Protesten fühlte er sich beflügelt, immer wieder konnte auch seine Kleinversammlung von der wachsenden Menge der Demonstrierenden profitieren – nicht zuletzt auch, weil sich Fragmente seiner Ideologie in verschiedenen Formen auch bei den Corona-Protestierenden wiederfinden.
Als die demokratiefeindliche Initiative „Querdenken 711“ erneut bundesweit für eine Großdemonstration unter dem Motto „Tag der Freiheit“ für Samstag, den 29. August 2020, nach Berlin mobilisierte, versuchte Hoffmann sich als Kopf einer Sammlungsbewegung zu inszenieren und meldete ab dem 15. August eine Vorab-Dauerkundgebung unter „Zusammen20“ vor dem Bundestag an. Dieser Vorlauf sollte das weitere Geschehen nachhaltig prägen.
Extrem rechtes Camp für Reichsbürger-Ideologie und Verschwörungsnarrative
Hoffmanns Dauerkundgebung entwickelte sich zu einer Art Camp für Reichsbüger*innen, Neonazis und Verschwörungsgläubige aller Couleur. Tag für Tag wurden mitten im Regierungszentrum von dieser Bühne Reden mit geschichtsrevisionistischen Inhalten und antisemitischen Verschwörungsnarrativen gehalten. Hoffmann selbst äußerte die für ihn gewohnten Umsturzpläne in immer eindringlicher Form. War die Bühne leer, erfolgte eine Dauerbeschallung mit bekannten Protagonist*innen der Szene, die via YouTube auf eine größere Leinwand projiziert wurden. Tourist*innen, die sich das Regierungsviertel anschauen wollten wurden mit Reichsbürger*innen konfrontiert, die Deutschland für ein besetztes Land halten, schwarz-weiß-rote Fahnen schwenkten und Propagandamittel verteilten.
Am 15.08. zur Auftaktveranstaltung der Hoffmannschen Dauerversammlung stand der Geschichtsrevisionist und Antisemit Nikolai Nerling auf der Bühne und hielt eine Rede, in der er das nationalsozialistische Deutschland als gleichwertiges System neben die Bundesrepublik stellte und die Erinnerung an die Shoah zu einem “Schuldkult” erklärte. Andere behaupteten hier, beide Weltkriege seien von einflussreichen Mächten eingefädelt und Deutschland untergeschoben worden – antisemitische Erzählungen, die auf eine Täter-Opfer-Umkehr und Schuldentlastung zielen. Daneben wurde die Rückkehr des Kaisers angekündigt und immer wieder positiv Bezug auf die extrem rechte Qanon-Erzählung genommen.
Staatliche Organe schien das extrem rechte Treiben vor dem Regierungssitz wenig zu kümmern. Trotz der fortwährenden demokratiefeindlichen Reden, den offenen Ankündigungen zum Systemsturz und der Präsenz szenebekannter, extrem rechter Personen war die Polizei kaum vor Ort. Die Dauer-Versammlung Hoffmanns, die das Motto „Für Freiheit und Volksdemokratie – Für Heimat und Weltfrieden“ hatte, blieb in großen Teilen sich selbst überlassen.
Das Wochenende zum „Tag der Freiheit“
Vorab zum „Tag der Freiheit“ fand am 28.08.2020 eine Kundgebung am Brandenburger Tor der Gruppe „Querdenken“ statt. Angereist war auch der extrem rechte „Identitäre”-Kader Martin Sellner aus Österreich, der ebenfalls der Gruppe der „Identitären“ zuzurechnende Daniel Sebbin aus Mecklenburg-Vorpommern oder auch Paul Klemm, die gemeinsam mit dem COMPACT-Chef Jürgen Elsässer zuerst die Kundgebung Hoffmanns besuchten, bevor sie sich in einer Gruppe von etwa 10 Leuten geschlossen zum Brandenburger Tor begaben. Hoffmann war begeistert von diesem Besuch. Er schüttelte Hände, ließ sich fotografieren und begrüßte lautstark die Vereinigung verschiedener Lager an diesem symbolischen Ort. Immer wieder fantasierte er davon, dass es nun endlich gelingen könne, die Macht zu übernehmen.
Am 29. August 2020 zur Hauptversammlung der Mobilisierung waren um die 38.000 Menschen in Berlin unterwegs, darunter verschiedene Gruppen des extrem rechten Spektrums. Eine erste Demonstration mit etwa 18.000 Teilnehmenden wurde noch vor 12 Uhr am Oranienburger Tor wegen Missachtung des Infektionsschutzes aufgelöst. Die Menschenmassen bewegten sich dann teilweise unkontrolliert in Richtung Siegessäule, wo die größte Versammlung stattfinden sollte. Auch die erlaubte Kundgebung mit Rahmenprogramm von Hoffmann vor dem Regierungsgebäude wurde so zum Publikumsmagnet. Nicht nur der Shoahrelativierer Nikolai Nerling fand hier Redezeit, auch der inzwischen flüchtige und untergetauchte Antisemit und Hetzredner Attila Hildmann konnte bei Hoffmann auftreten. Beide nutzten die Zeit, um die Bundesregierung herabzuwürdigen und dazu aufzurufen, das Gebäude von dieser zu befreien. Die Polizei reglementierte den Zustrom und es kam immer wieder zu kleineren Tumulten. Dabei wurde auch versucht, die Hamburger Gitter, die die Kundgebungsfläche eingrenzten, umzurennen, um in Richtung Kanzleramt zu kommen. Bis dahin jedoch ohne Erfolg, die Polizei hatte die Situation im Griff.
Gegen späten Nachmittag stand Hoffmann selbst auf der Bühne und empörte sich angesichts der fortgeschrittenen Zeit, dass die Massen wegblieben, es sei die letzte Chance, sich das Gebäude zurückzuholen. Immer wieder peitschte er die Menge an und schrie in sein Mikrofon: „Schafft alle Menschen her – wir brauchen die Massen!“ Denn es ginge um nichts weniger als „um Leben und Tod“.
Inzwischen war der Reichsbürger Gunnar W. mit einem Megafon unterwegs und versuchte, Menschen vom Brandenburger Tor und Tiergarten in Richtung Bundestag zu bewegen. Dabei verbreitete er die Falschmeldung, dass der damalige US-Präsident Trump in Berlin sei, eine Erzählung, die dann die Heilpraktikerin Tamara Kirschbaum aus der Eifel euphorisch von der Bühne wiederholten sollte. Weil Donald Trump in Berlin gelandet sei, müsste man nun ein Zeichen setzen und zeigen, dass „wir die Schnauze gestrichen voll haben“. Donald Trump gilt den Verschwörungsgläubigen von QAnon als Erlöser, der die Welt von den geheimen Machenschaften mächtiger Eliten befreien werde. Unter Jubel rief Kirschbaum dann auf, die Absperrgitter wegzuräumen und sich „das Haus zurückzuholen“. Sie behauptete, Polizist*innen hätten ihre Helme abgenommen und sich auf die Seite der Demonstrierenden gestellt. Tatsächlich war die Polizeikette, die den Ort sicherte, zu genau jenem Zeitpunkt abgezogen worden.
„Wir haben fast gewonnen“, schrie Kirschbaum triumphierend und riss die Menge mit. Dann forderte sie die jubelnde Menge auf: „Wir gehen jetzt da rauf und holen heute, hier und jetzt unser Haus zurück.“ Man solle sich auf die Treppe begeben und sich auf die Stufen zu setzen, um Donald Trump zu zeigen, dass sie den Weltfrieden wollten. Die Menge war daraufhin nicht mehr zu halten und stürmte auf das Gebäude los. Sie rannten über die Gitter, schlüpften zwischen ihnen hindurch oder stießen sie um. Mehr war nicht nötig, damit Neonazis, QAnon-Gläubige, Querdenker*innen, völkische Siedler*innen und AfD-Klientel zunächst ungehindert bis vor die Türen des Bundestags gelangen konnten und dort für denkbare Szenen sorgten. Etliche brachen in Tränen der Freude aus, lagen sich in den Armen, tranken Bier und stießen stolz, überwältigt und siegessicher auf den Moment an, während der Eingang des Bundestags von einer handvoll Polizisten unter Körpereinsatz vor dem Eindringen der Masse verteidigt wurde.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von einem vermeintlichen „Sturm auf den Reichstag“ in den Sozialen Medien, sodass immer mehr Menschen dazu strömten. Nur einer war nicht dabei: Rüdiger Hoffmann. Der hatte den Ort des Geschehens kurzzeitig verlassen und kam erst wieder, als die Polizei die Kontrolle wiedererlangt hatte. Gegen 20 Uhr hatte die Polizei den Platz dann geräumt. Die Versammelten verließen den Platz Richtung Siegessäule und Brandenburger Tor. Ingewahrsamnahmen gab es augenscheinlich keine.
Der Stand um die juristische Aufklärung zum zweiten Jahrestag des „Sturm auf den Reichstag“
Zwei Jahre sind seit diesem denkwürdigen Ereignis ins Land gegangen. Ein Regierungsgebäude stürmen und sich gewaltsam Zutritt verschaffen zu wollen, dürfte doch wohl den Straftatbestand des Landfriedensbruchs erfüllen?
Was macht die juristische Aufarbeitung? Eine Nachfrage bei der Berliner Staatsanwaltschaft ergab, dass bisher nur rund 85 Verfahren gegen Beteiligte geführt wurden, 14 davon gegen Unbekannt. 62 Verfahren gelten als beendet, davon sind ganze 49 Fälle eingestellt worden, weil die Ermittlungen keinen genügenden Anlass zur Klageerhebung böten. Bisher kam es lediglich zu drei rechtskräftigen Verurteilungen. Diese Zahl steht in krasser Schieflage und sendet das Signal, dass extrem rechte Machtdemonstrationen, selbst wenn sie Symbole des Staates angreifen, nichts zu befürchten haben.
Dabei zeigt eine durch uns vorgenommene intensive Auswertung des Bildmaterials vom 29. August 2020, dass sich die Zahl der Teilnehmenden, die sich zur besagten Stunde an Hoffmanns Kundgebung beteiligten, bei etwa 900 Personen gelegen hat. Davon hatten mehrere Hundert die Absperrungen überwunden und waren unmittelbar auf die Treppen gelangt. Da aus Richtung Scheidemannstraße ebenfalls Absperrgitter überwunden wurden, befanden sich am Ende rund 600 Personen im Sicherheitsbereich des Gebäudes. Auffallend ist, dass die Mehrheit der „Treppenbesetzenden“ nicht zu identifizieren ist und wohl der bürgerlichen Mitte entstammt, die sich im Zuge der Corona-Pandemie durch Verschwörungsinhalte fanatisiert hat. Andere sind bekannte Personen der Pandemie-Leugnenden Szene oder kommen aus dem extrem rechten Spektrum.
Eine Sprecherin der Polizei Berlin gab auf Anfrage von Belltower.News bekannt, dass gegen 347 Personen ermittelt wird, von denen jedoch nur 89 namentlich bekannt sind. Insgesamt wurden 352 Ermittlungen eingeleitet, 333 davon wegen Landfriedensbruch.
Hier eine nur kleine Auswahl von identifizierten Beteiligten der extrem rechten Milieus:
HoGeSa-Mitgründer zündet Bengalo auf der Treppe
Unter den Personen, die es direkt auf die Treppe schafften, war zum Beispiel Dominik Roeseler aus Mönchengladbach. Der Neonazi Roesler war nicht nur stellvertretender Vorsitzender der extrem rechten Kleinstpartei „Bürgerbewegung pro Nordrhein-Westfalen“. Er ist auch Mitbegründer der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und Vorsitzender von „Mönchengladbach steht auf“. Roeseler entzündete auf den Treppen des Bundestags eine bengalische Fackel und versuchte die Menge weiter anzuheizen.
Kampfsport-Neonazi will die Eskalation
Richard „Rick“ Günther Wegner oder auch „Richard Houndershell“ ist ein neonazistischer Kampfsportler. Wegner wuchs in den USA auf und saß dort laut seiner eigenen Biografie eine 15-jährige Haftstrafe wegen Mordes und Raubs ab. 2003 wurde er nach Deutschland abgeschoben. Er war an den rassistischen Protesten von Pegida beteiligt, wo er auch als gewalttätig auffiel. Am besagten Tag, dem 29. August, war Wegner mit einer Gruppe um seinen engen Weggefährten, den rechten Rapper Chris Ares alias Christoph Zloch, unterwegs und stattete die Gruppe mit selbst hergestellten Schildern aus, die die QAnon-Erzählung reproduzierten. Auf den Treppen war Wegner dabei zu beobachten, wie er die Situation zu eskalieren versuchte.
Der falsche Journalist „Aktivist Mann“
Euphorisch auf den Treppen dabei, war Matthäus Westfal, der als „Aktivist Mann“ seit Beginn der Corona-Pandemie extrem rechte und verschwörungsideologische Propganda verbreitet und von Veranstaltungen live streamt. Westfal stammt aus Ostwestfalen-Lippe und ist Teil der fundamentalistischen Sekte „Organische Christus-Generation“ (OCG) von Ivo Sasek. Auf den Treppen und auch nach der Sicherung des Bundestags heizte er die Menge als einer der Wortführer an, behauptete aber dennoch immer wieder Journalist zu sein.
Nikolai Nerling: Falscher Journalist und verurteilter Shoah-Leugner
Auch Nikolai Nerling, der als selbsternannter „Volkslehrer“ NS-Propaganda verbreitet, gab sich als Journalist aus. Auf der Treppe des Reichstags spornte er euphorisch die Menschen in ihrem Treiben noch an. Nerling ist verurteilter Shoah-Leugner und mittlerweile fest in der geschichtsrevisionistischen Neonazi-Szene fest verankert.
Gerhart Ittner: Der Shoah-Leugner der alten Schule
Beim Erklimmen der Treppen zum Bundestag war auch Gerhart Ittner vorne mit dabei und erreichte die obersten Stufen der Treppen. Videomaterial zeigt ihn dabei, wie er sich mit vollem Körpereinsatz der eintreffenden Polizei widersetzt. Der neonazistische Geschichtsrevisionist Ittner aus Bayern, der sich selbst stolz einen Nationalsozialisten nennt, war Teil der mittlerweile aufgelösten Shoahleugner-Initative „Europäische Aktion“ und unterhielt Kontakte zum „Thüringer Heimatschutz“. Ittner ist mehrfach wegen Volksverhetzung und Shoahleugnung verurteilt.
Der tote Shoah-Leugner
Der Neonazi Henry Hafenmayer aus Oberhausen war als Teilnehmer der „Staatenlos“-Kundgebung bis zur Auflösung der Kundgebung durch die Polizei anwesend. Ob er auch die Treppen bestieg, lässt sich nicht sagen. Bilder zeigen ihn lediglich vor den Treppen. Henry Hafenmayer war Geschichtsrevisionist, bekennender und verurteilter Shoahleugner und betrieb den Blog „Ende der Lüge“, wo er antisemitische Pamphlete veröffentlichte und den Nationalsozialismus glorifizierte. Stolz präsentierte er sich immer wieder auch vor einer Hakenkreuzfahne. Er verstarb im Herbst 2021 und wurde zunächst im historischen Grab von Max Friedlaender begraben, einem 1934 verstorbenen deutsch-jüdischen Musikwissenschaftler.
Der Szene-Anwalt
Anders als manch andere Szene-Anwälte achtet Björn Clemens eigentlich genau darauf, sich in der Öffentlichkeit an geltendes Recht zu halten. Und dennoch war er am Sturm beteiligt, wie Videoaufnahmen zeigen. Dort ist zu sehen, wie er auf den unteren Stufen des Bundestags mit zufriedenem Gesicht posierte. Clemens vertrat bereits den Antisemiten Nikolai Nerling, sowie die AfD-Landtagsabgeordnete Doris von Sayn-Wittgenstein. Im NSU-Prozess war er kurzzeitig Wahlverteidiger von André Eminger und Verteidiger von Markus H., dem Mitangeklagten im Mordfall Walter Lübcke.
Lasse Richei
Auch der neonazistische Gewalttäter Lasse Richei aus Braunschweig war bei der Treppenbesetzung zugegen. Er bewegte sich im Umfeld von jungen Neonazis, von denen einige auf den Treppen mitmischten. Ob Richei selbst dabei war, ist unklar. Fotos zeigen ihn erst bei der Räumung des Bundestags-Geländes durch die Polizei.
Die „Tickerlady“
Auch die „Tickerlady“, Tanja B., die unter dem Namen „Nancy von Bunker“ ein Buch über ihre Zeit als Dealerin in der Berliner Rave-Szene der 90er Jahre schrieb, schwang in einem schwarz-weiß-roten Kleid eine große schwarz-weiß-rote Fahne. Tanja B. radikalisierte sich vermutlich als Anhängerin von Attila Hildmann und ist heute fester Teil der neonazistischen Szene.
Auch AfD-Personal war bei der „Treppenbesetzung“ zugegen
Gavin Singer, ein Neonazi aus dem brandenburgischen Rathenow, der als Mitglied der „Jungen Alternative Brandenburg“ bis vor die Türen des Regierungsgebäudes rannte, wo er versuchte, die Situation zu eskalieren. Als die Polizei das Gelände zu sichern versuchte, leistete er Widerstand. Nachdem er eindeutig als Teil des sogenannten „Reichstagssturm“ identifiziert wurde, verließ Singer die Junge Alternative, wohl um Schaden von der AfD-Jugendorganisation abzuwenden. Nichtsdestotrotz ist er auf Versammlungen der Partei aber immer noch willkommen.
AfD-Personenschützer
Fotos zeigen auch den Neonazi Arthur Österle aus Sachsen, wie er im blauen Hemd inmitten der Menge auf der Treppe steht. Österle war Mitglied des rechten, in Teilen vom Verfassungsschutz beobachteten Vereins „Heimattreue Niederdorf“. Bekannter wurde er 2018 als Chefordner des extrem rechten Bürgerbündnisses „Pro Chemnitz“, aus deren Aufmärschen es zu rassistischen Übergriffen, Ausschreitungen und Straftaten kam. Seit Januar 2020 ist er als Personenschützer für den Chemnitzer AfD Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme tätig. Daneben ist er Vorstand der AfD im Kreisverband Erzgebirge und AfD-Fraktionsvorsitzender im Burkhardtsdorf.
Antisemitischer ex-AfD Landtagsabgeordnete Stefan Räpple
Der damalige baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple legte selbst offen, dass er am besagten Tag auf die Treppen rannte. Er postete von vor Ort ein Video, in dem er sich echauffierte, Pfefferspray ins Gesicht bekommen zu haben. Ende September 2020 wurde der Antisemit und Holocaust-Relativierer aus seiner AfD-Fraktion ausgeschlossen.
AfD-Mann schreit in TV-Kamera: „Korrupte Verbrecher müssen festgenommen werden“
Der AfD-Mann Daniel Plack vom Kreisverband Ortenau/ Baden-Württemberg saß für diese Partei im Bezirksbeirat Freistett der Stadt Rheinau. Am 29. August geriet er wohl eher zufällig in die Kamera eines „Frontal 21“ Teams, blieb in seiner Euphorie stehen und rief mit geballter Faust in die Kamera „Heute wird Geschichte geschrieben […] korrupte Verbrecher müssen festgenommen werden“. In der Folge hat Daniel Plack die AfD verlassen und sein Amt niedergelegt.
Ebenfalls auf der Treppe standen der stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner NPD, Uwe Meenen oder der NPD-Landesvorsitzende aus Hamburg Lennart Schwarzbach, sowie zahlreiche weitere Personen aus dem Umfeld der NPD. Mit Marcel Kretschmar aus dem Thale (Harz) und Martin Schüttpelz feierten sich weitere Neonazis der antisemitischen Kleinstpartei „Die Rechte“ und machten vor Ort Selfies.
Die kleine Aufzählung des extrem rechten, neonazistischen und Shoah-Leugnenden Milieus spiegelt die sehr gefährliche Gemengelage beim sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ wider. Eine große Zahl der hier Beteiligten sind Aktivist*innen, die seit Jahren in der rechtsextremen Kameradschafts- und Parteien-Szene aktiv sind. Andere engagieren sich seit Jahren für rassistische und demokratiefeindliche Bündnisse oder kommen aus faschistisch-völkischen Kontexten.
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