Neben der Instrumentalisierung der Opfer des Holocaust, hat das Zentrum für Politische Schönheit noch ein ganz anderes Problem: Es versteht Antisemitismus nicht.
Text von Soja
Am Montag dem 2. Dezember 2019 errichtete das Zentrum für Politische Schönheit, ein Zusammenschluss von Aktionskünstler*innen, die sich als Denkfabrik bezeichnen und als Vollstrecker einer „radikalen Form des Humanismus” inszenieren, eine Gedenkstätte in Form einer Säule, in der sich (angeblich) die „Asche der ermordeten Hitlerdeutschlands“ befand. Gedacht war das Ganze als ein Appell an den „Deutschen Konservatismus“, was dadurch unterstrichen wurde, dass die „Säule der Schande“ in Sichtweite des Reichstags errichtet wurde. Daneben verschickte das ZfPS eine gefälschte Hausmitteilung an die CDU/CSU-Fraktion, in der ein falscher Wolfgang Schäuble die Abgeordneten dazu aufrief, das Mahnmal zu besuchen und davor einen Schwur abzulegen.
Abgerundet wurde diese Inszenierung einen Tag später durch die Entwendung der Grabplatte Franz von Papens, womit auf die „Historische Schuld des Konservatismus“ aufmerksam gemacht werden sollte. Franz von Papen war ein konservativer Politiker, der entscheidenden Anteil an Hitlers “Machtergreifung” hatte. Simultan zur gesamten Aktion wurde ein Buch veröffentlicht, in dem „letzte Nachrichten und Zeitzeugnisse von Opfern des Nationalsozialismus” dokumentiert werden. Im Vorwort finden sich erste Hinweise dafür, dass die vermeintliche Radikalität der Aktionskünstler*innen schnell an ihre Grenzen stößt.
„Geschichte ist das Ergebnis von Politik. Der Holocaust ist das Ergebnis von Politik“ heißt es dort und weiter: „Wir müssen das Böse fürchten lernen. Es war möglich. Es ist möglich. Es bleibt möglich“. Das ist (auch wenn es dringend darauf bedacht ist, einen anderen Eindruck zu vermitteln) weder besonders tiefsinnig, noch radikal. Der Holocaust wird (und das ist kein Bruch in der Geschichtsschreibung sondern traurige Kontinuität) einmal mehr auf die Ebene der Verwaltung, der Ausführer, der Möglichmacher, der Parteipolitik eben, verlagert. Das Zentrum für Politische Schönheit inszeniert ein radikales Brechen mit vergangen Formen der „ach-so-vorbildlichen ‘Aufarbeitung’”, ohne die weitaus radikalere Frage aufzuwerfen, wie die Parteien bzw. die Politik denn dort eigentlich hingelangen konnten und welchen Anteil die gesamtdeutsche Bevölkerung am Nationalsozialismus hatte.
So ist es kein Zufall, dass sich die auf allen Ebenen missglückte Gedenkaktion größter Beliebtheit erfreut, obwohl die Rezeption in den klassischen Medien (zurecht) verheerend ausfällt. Sie tut, außer den Nachkommen der Opfer des faschistischen Genozids, niemandem weh. Eine radikale Aktionskunst, die die Nachfahren der Nationalsozialisten dazu bringt, innerhalb weniger Tage 80.000 Euro zu spenden und dabei gleichzeitig deutsche Juden in die Position versetzt, sich gegen erinnerungswütige Deutsche verteidigen zu müssen, hat das Problem offensichtlich nicht mal ansatzweise begriffen. Apropos erinnerungswütige Deutsche: Eine weitere traurige Ironie der Aktion ist es, dass sie vor allem zur Demaskierung von linkem Antifaschismus geführt hat, so z.B bei Hooligans Gegen Satzbau (HoGeSatzbau). Die Gruppierung, die vor allem dadurch bekannt wurde, dass sie auf Social-Media-Plattformen Rechtschreibfehler von Nazis korrigiert, zeigte einmal mehr ein eher merkwürdiges Verständnis vom Kampf gegen Rechts. So bedrängten sie auf Twitter den jüdischen Journalisten Richard C. Schneider, der die Aktion des ZfPS scharf kritisierte, und warfen ihm in beschämender Art und Weise vor, sich bis dato nicht für die Vergangenheit seiner Familie interessiert zu haben.
In weiteren Tweets (die mittlerweile alle gelöscht wurden), sprach HoGeSatzbau Juden das Recht ab, eine Deutungshoheit über die Gedenkaktion zu besitzen und insistierte: „Religionen interessieren mich nicht“ und weiter: „Es geht hier nicht um Juden, es geht um Menschen“.
Diese Reaktion kommt nicht von ungefähr. Bereits im Vorwort des Buches, dass das ZfPS begleitend zur Gedenkaktion herausgegeben hatte, finden sich ähnliche Stellen, die den Holocaust bzw. den Faschismus entpolitisieren und ideologisch entleeren.
So heißt es z.B, dass man den Holocaust nicht verstehen würde, wenn seine Opfer nicht als “Individuen” wahrgenommen werden würden. Es seien ja schließlich „Menschen (…) wie wir“. Dieses esoterische “Hippiegeschwurbel” (das in einer Reihe mit Sätzen wie “Ich sehe keine Farben” steht) negiert komplett den antisemitischen Gehalt des Holocausts. Die Juden sind, folgt man dem ZfPS, nicht etwa wegen der antisemitischen Ideologie oder des Judenhasses der deutschen Volksgemeinschaft ermordet worden und auch nicht als Juden, sondern als missverstandene Menschen. Subtext: Es hätte jede*n treffen können. Das ist keine Aufarbeitung, sondern das Verdrängen von jeglichem Wissen und Verständnis über die spezifischen Wirkungsweisen antisemitischer und faschistischer Ideologie durch “Wir sind doch alle Menschen”-Versatzstücke, die niemanden schaden – außer Juden.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich das ZfPS mit dem Nationalsozialismus auf diese Art auseinandersetzt: Zum 75-jährigen Jubiläum der Weißen Rose veröffentlichte die Gruppe eine 60-seitige Broschüre mit dem Titel “Arbeitsmaterial und Aufgaben für den Unterricht”, die sich (mit einem gefälschten Vorwort von Kultusminister Ludwig Spaenle sowie Innenminister Joachim Herrmann) unter Kategorien wie Geschichtswissen und Politiktheorie mit dem Widerstand im NS beschäftigte. Das Problem: Auf den ganzen 60 Seiten taucht kein einziges mal das Wort ‘Antisemitismus’ auf. Das Wort ‘Jude’ findet man (im Kontext des Holocausts) genau ein Mal. Stattdessen ist von Begriffen wie ‘Tyrannei’ die Rede, von einem Kampf von ‘Gut’ gegen ‘Böse’ und das obwohl die sonstige Sprache des Textes keineswegs darauf schließen lässt, dass sich hier an besonders junge Schüler*innen gerichtet wird.
In dem kurzen Vorwort zur Gedenksäule in Berlin findet sich ein weiterer Punkt der stutzig macht: „Wir müssen das Böse fürchten“ heißt es dort, denn: „Es war möglich. Es ist möglich. Es bleibt möglich“. Das Böse? Was soll das sein? In einem SWR2 Interview erklärte Ruch, Gründer und künstlerischer Leiter des ZfPS, die Gesellschaft leiste sich gegenüber Rechtsextremisten “Großmut und eine Toleranzpolitik”. Darin steckt ein merkwürdiger Antagonismus, zwischen “Gesellschaft” auf der einen, und den “Rechtsextremisten” auf der anderen Seite. Dass der Rechtsextremismus nicht zur Gesellschaft gehören sollte, ist eine wünschenswerte Utopie, die sich in dem Hashtag ‘AfDGehörtNichtZuDeutschland’ äußert, der regelmäßig in den deutschen Twittertrends erscheint. Die bittere Realität ist allerdings eine vollkommen andere: Diese zu verleugnen und sich eine deutsche Gesellschaft zu imaginieren, in der nach 1945 kein autoritäres, antisemitisches und rassistisches Potential in der Mitte der Gesellschaft tief verankert wäre, nützt niemandem. Auch wenn Ruch den Zeitpunkt, in dem der Rechtsextremismus in die Mitte der Gesellschaft gelangt ist, auf vor 10 Jahren datiert, klingt das so, als hätte jemand im Jahr 2009 „das Böse“ über Deutschland abgeworfen und seitdem müsse man sich hierzulande damit rumplagen. Mit dieser Meinung ist Ruch sicher nicht alleine, dem “Kampf gegen den Rechtsextremismus” ist immer ein imaginierter politischer Rand implizit, auch weil die Extremismustheorie in Deutschland zur Staatsphilosophie geworden ist.