ZDF-Doku: Rechte Propaganda gegen Links

Rainer Fromm Hufeisen
Titelbild der ZDF-Doku von Rainer Fromm
Rainer Fromm Hufeisen
Titelbild der ZDF-Doku von Rainer Fromm

Falsche Statistiken und Interviewpartner aus der “Neuen Rechten”: Die ZDFinfo-Doku über “Linksextremismus”

25 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen wüten Rechte, die lange euphemistisch zu „besorgten Bürgern“ verklärt wurden, wieder offen gegen Geflüchtete und politisch Andersdenkende und werden aller Wahrscheinlichkeit nach bald durch die AfD mit einem parlamentarischen Arm im Bundestag vertreten sein. Dennoch ist Bundesinnenminister Thomas De Maizière bemüht, einen gefährlichen „Linksextremismus“ heraufzubeschwören, auf den sich der Fokus zu richten habe. Viele Medien folgen der Lesart und jüngst strahlte ZDFinfo passend eine TV-Doku mit dem Titel „Radikale von Links – Die unterschätzte Gefahr“ von Rainer Fromm aus, der bisher für Dokumentationen über Neonazis und Islamismus bekannt war.

Der Versuch einer objektiven Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Thema „Linksextremismus“ sollte dabei kritisch betrachtet werden. Die sachlich gedachte Herangehensweise unter Hinzuziehung namhafter Wissenschaftler dient allenfalls der Auslegung im Sinne des Bundesinnenministers. Die Taz hat sich dem Film angenommen und spricht von einer skurrilen Dokumentation, die rechte Gewalt relativiert.

Zweifelhafte Gesprächspartner aus dem Umfeld der neuen Rechten

Auslegungsstärkster Interviewpartner der Dokumentation ist Klaus Schroeder (FU Berlin), der 2015 eine Studie zu „demokratiegefährdenden Potenzialen des Linksextremismus“ veröffentlichte. Schröder, der auch hinsichtlich der Aufarbeitung der SED-Diktatur forscht, konstatierte, dass „Linksextremismus“ in breiten Teilen der Gesellschaft vertreten sei. In einem Interview mit Zeit Online zu seiner Studie bewertet der Wissenschaftler es bereits als „linksextreme Position“, wenn Bürger*innen sich für die Aufnahme von Geflüchteten aussprechen. Es war auch Schroeder, der die sogenannnte „Mitte“-Studie über “Fremdenfeindlichkeit” “Die enthemmte Mitte” als „überzeichnet“, „reißerisch“, „belanglos“ und „interessengeleitet“ verriss, was von regressiver Seite, unter anderem von Beatrix von Storch, mit Freude aufgenommen und in sozialen Netzwerken hundertfach geteilt wurde.

Als willigen Helfer scheint ein weiterer „Linksextremismus“-Forscher Schroeder zu verstehen: Dr. Karsten Dustin Hoffmann, der ebenfalls in der ZDFinfo-Dokumentation zu Wort kommt, schreibt in einem Facebook-Posting:

„Klaus Schroeder ist m. E. einer der fähigsten Politikwissenschaftler unserer Zeit (auch wenn er gegenüber seinen Doktoranden manchmal den „harten Hund“ raushängen lassen soll ) Im Hinblick auf die AfD zeigt sich der Extremismusforscher erfreulich unaufgeregt. Im Programmentwurf des Bundesvorstands erkennt er eine „moderate nationalkonservative Linie mit liberalen Einsprengseln.“

Rainer Fromm stellt Hoffmann in seiner Dokumentation neutral als Politikwissenschaftler vor, unterschlägt dabei aber, dass Hoffmann nicht nur „wissenschaftlich“ tätig, sondern selbst Protagonist der “Neuen Rechten” ist. Im September 2016 kandidierte er für die AfD Rotenburg/Wümme, wo er heute als Fraktionsvorsitzender im Kreistag sitzt. Mit Karsten Dustin Hoffmann wird in dieser Doku also jemand unkommentiert zu Wort gebeten, der für eine Partei tätig ist, die für rassistischen Hass und Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende steht.

Hoffmann, der in seiner Studienzeit  Landesvorsitzender des rechts-konservativen „Rings Christlich-Demokratischer Stu­denten“ war und Bereitschaftspolizist in Hamburg wurde, promovierte 2011 bei Eckhard Jesse über das Thema „Linksextremismus“ mit dem Fokus auf die  Rote Flora. Aber bereits Jesse, der Antisemitismus zum Instrument jüdischer Institutionen erklärt und dem Nationalsozialismus bescheinigt, einen „Modernisierungsschub“ in Deutschland bewirkt zu haben [1], ist seiner Extremismustheorie wegen umstritten. Gleichwohl ist Jesse Referent verschiedener Verfassungsschutz-Behörden, wo seine Theorien gerne aufgegriffen werden.
Hoffmanns Doktorarbeit über Linksextremismus, die Handlungsempfehlungen „wie aus demokratischer Sicht am effektivsten mit Autonomen Zentren umzugehen ist“ an den Hamburger Senat enthält, wurde 2012 mit einem über 3000€ dotierten „Preis der deutschen Hochschule der Polizei“ belohnt. Am 23. Oktober 2014 trat Hoffmann dann in der extrem rechten ‘Bibliothek des Konservatismus’ auf und referierte über das Thema „Die militante Linke in Deutschland“. Ein auf der ‘Bilbliotheks’-Webseite veröffentlichter Text über Hoffmanns Arbeit und Vortrag liest sich, als hätte Hoffmann persönlich zu Thomas de Maizières Standpunkt, es gäbe in Deutschland ein interessengeleitetes Übergewicht in Sachen Rechtsextremismus, weshalb man gegen Linksextremismus vorzugehen habe, beigetragen.  Und wie die Jungle World bereits 2016 schreibt, ist der angeblich sachliche Extremismusforscher und AfD-Mann Hoffmann – trotz seiner Verstrickungen in die “Neue Rechte” – tatsächlich für die Erstellung des pädagogischen Begleitmaterials der von der Regierung geförderten Projekte gegen “Linksextremismus” zuständig. So auch für die Stiftung der Gedenkstätte Hohenschönhausen, wo Thomas de Maizière kürzlich medienwirksam an einem Projekt mit dem Titel „Linke Militanz in Geschichte und Gegenwart“ mit Schüler*innen teilnahm.

Doch Hoffmanns fragwürdige Forschungspraktiken sind lange kein Geheimnis. So schreibt beispielsweise die Jungle World

„Auch Hoffmann neigt gerne zur Übertreibung. Er ist Sprecher der »Forschungsgruppe Extremismus und Militanz« (FGEM), die unter anderem »linksmotivierte Militanz« dokumentiert. Hoffmann und seine FGEM nehmen auch friedliche Blockaden und Verstöße gegen das Kunsturhebergesetz in die Statistik auf. Man muss kein Experte sein, um das politische Kalkül hinter der Zählweise zu erkennen. Je höher die Zahlen sind, desto größer wird die Legitimation für das eigene Weltbild und die eigene Forschungsgruppe.“

Protest gegen einen Naziaufmarsch 2016 in Berlin: Demokratische Meinungsäußerungen im Sinne des Grundgesetztes werden von den hier zitierten Experten zu extremistischen Ansammlungen gezählt. Bildrechte: RechercheNetzwerk.Berlin

Die Dokumentation von Rainer Fromm greift neben Schröder und Hoffmann auf weitere zweifelhafte Interviewpartner zurück. So kommt auch Prof. Uwe Backes zu Wort, der ein enger Weggefährte des vorbenannten Doktorvaters Hoffmanns, Eckard Jesse, ist und mit diesem als Begründer des Hufeisenmodells der Extremismustheorie gilt. Dieses Modell nimmt zwei Extreme unabhängig ihrer politischen Bestrebungen als gleich gefährlich an, die in gleicherweise totalitäre Ziele anstreben würden. Die gesellschaftliche Mitte dagegen findet als Hort der Demokratie im Kontext einer wissenschaftlichen Analyse in dieser Theorie keine Berücksichtigung. Das Modell von Jesse und Bakes, das eine vergleichende Kategorie für Ungleiches setzt, ist wissenschaftlich mehr als umstritten, ist aber seit den 1970er Jahren Arbeitsbegriff von Behörden und wird von breiten politischen Kreisen aufgegriffen und unterstützt.

Wie bei Jesse, findet auch bei Backes die streitbare Agitation im Institutsleben kaum Beachtung. In einem bekannt gewordenen Fall am Hannah-Arendt-Institut, stellte sich Backes hinter die Thesen seines Mitarbeiters Lothar Fritze, der ausgerechnet am 60. Jahrestag des Attentats von Georg Elser auf Hitler, Elser eine „‚moralisch nicht zu rechtfertigende Gefährdung Unschuldiger” vorwarf, womit er die im November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller getöteten Nationalsozialisten meinte. Die Studierenden-Zeitung der Ruhr-Universität Bochum kommentiert wie folgt:

Nur der nationalkonservative Backes, der auch schon mal von einem “neurotischen” Umgang von Teilen der deutschen Öffentlichkeit mit der NS-Geschichte sprach und für eine “reine Wissenschaft” plädierte, die auch die Frage der tatsächlichen Kapazität der Gaskammern beleuchten und die tatsächlichen Opferzahlen des NS überprüfen müsse, zeigte sich solidarisch, stellte sich demonstrativ hinter Fritze und gegen den liberalen Institutsdirektor.“

Rainer Fromm lässt in seiner Dokumentation also „Wissenschaftler“ über “Linksextremismus” sprechen, die ganz dem Duktus der Extremismustheorie des Bundesinnenministers sowie der Verfassungsschutzbehörden gefallen, was die jeweiligen Chefs der Landesverfassungsbehörden in NRW und Berlin, Burkhard Freier und Bernd Palenda, inhaltlich unterstützen. So verwundert es nicht, dass Fromm die Zahlen der Ermittlungsbehörden zu ‚Politisch motivierter Gewalt‘, sowie Mordopfern unkritisch übernimmt oder wirre Bezüge von heutigen radikalen Linken zur RAF herstellt. Die Kritik an den veröffentlichten und immer wieder zur Gleichsetzung von Linken mit Rechten und Neonazis herangezogenen Statistiken reicht dabei bis in das dem “Linksextremismus” unverdächtige Bundeskriminalamt und der Polizeigewerksschaft ‚Bund der Kriminalbeamten‘. Wesentliche Kritikpunkte bestehen in der Abgrenzung der Datenerhebung. Der propagierte enorme Anstieg lässt sich – wie auch in der Dokumentation erwähnt – durch Demonstrationen erklären. Unerwähnt bleibt dagegen, dass seit 2014  im Zuge von Pegida & Co. bundesweit vermehrt auch eine Vielzahl von Gegendemonstrationen stattfanden, in deren Zusammenhang auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams, wie z.B. Blockaden, das Erstarken der Bewegung zu verhindern versucht wurde. Es ist hinlänglich bekannt und im Rahmen der Thematisierung von Polizeigewalt bei den G20-Protesten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich geworden, wie die Agitation der Exekutiven in der Praxis aussieht. Zumeist werden von Polizist*innen bei Räumungen von Blockaden Anzeigen wegen Widerstand oder Körperverletzung gestellt. In den meisten Fällen werden die Verfahren eingestellt. Von der Statistik nachhaltig erfasst werden diese Fälle dennoch. Das Antifaschistische Infoblatt hat sich 2010 näher mit dieser Thematik befasst und dies in einem Artikel mit dem treffenden Titel „Statistische Mogelpackung“ veröffentlicht.

Ähnlich verhält es sich mit den Zahlen in Bezug auf Mordopfer politisch motivierter Gewalt. Warum sich ZDFinfo hier lediglich auf die offiziellen Zahlen stützt, während andere Medien schon viel weiter sind, lässt sich nicht erklären. Dabei belegen sog. ‚kleine Anfragen’‚ von Mitgliedern des Bundestages immer wieder die Lücken in der Statistik hinsichtlich Tötungsdelikten durch z.B. Rassisten und Neonazis. Die Süddeutsche Zeitung berichtet jüngst über  „Tote, die nicht zählen”:

„75 Menschen sind laut der aktuellen Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) seit der Wende 1990 durch rechte Gewalt im vereinigten Deutschland zu Tode kommen. Einige Inititiativen wie etwa die Amadeu Antonio Stiftung kommen hingegen auf weitaus höhere Zahlen. Die Erhebung der Amadeu Antonio Stiftung, die sich auf Opfer-Chroniken von Journalisten, Forschungsinstituten und zivilgesellschaftlichen Organisationen stützt, zählt mindestens 178 Todesfälle seit dem Wendejahr.“

Kurz zusammengefasst unterstreicht Rainer Fromms Dokumentation die weitere gefährliche Diskursverschiebung nach rechts, die mit dem offiziellen Umgang der Proteste bei G20 wohl noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. Und sowohl Autor der Dokumentation als auch ZDFinfo müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie hier propagandistisch miteinstimmen. Die Dokumentation dient anhand der Auswahl ihrer „Extremismusforscher“ sowie der unkritischen Übernahme unvollständig oder falsch geführter Statistiken, lediglich einer Propagierung, die trotz steigender Angriffe von „besorgten Bürgern“ bis Neonazis auf politisch Andersdenkene oder als fremd gewertete Menschen zunehmend Mainstream in Politik wie Gesellschaft wird: Der politische Feind gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung steht links!

17.06.2016 Identitärer Aufmarsch in Berlin
Aufmarsch der Identitären wird blockiert, Berlin, 17.06.2016
Bildrechte: RechercheNetzwerk.Berlin

________________________________________________________________________
[1] Vgl. Eckhard Jesse: Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismus. In: Uwe Backes, Eckhard Jesse und Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die Schatten der Vergangenheit. Ullstein Verlag, Berlin 1990