„Israel ist an allem Schuld“ – so lautet der provokative Titel des im Jahr 2014 erschienen Buches von Georg M. Hafner und Esther Schapira. Darin beschäftigen sich die Autor*innen, teils sehr persönlich, mit einem neuen Lieblingswort der Deutschen: Der “Israelkritik”. Warum nimmt die Kritik am Staat Israel einen so viel größeren Platz ein, als die Beschäftigung mit anderen Staaten? Warum ist das Bedürfnis Israel zu kritiseren so groß, dass der Begriff “Israelkritik” sogar Einzug in den Duden gefunden hat?
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Veröffentlichung des Buches, geht die erste Folge des Aufwachen! Podcasts an den Start. Ein zweimal wöchentlich erscheinendes Projekt des Journalisten Tilo Jung und dem Autor und Soziologen Stefan Schulz, in dem diese sich kritisch, polemisch und stellenweise sehr radikal an der deutschen Medienlandschaft abarbeiten. Das ist, so viel Lob muss sein, oft sehr unterhaltsam und treffend und folgt immer dem gleich Ablauf: Erst werden sich die Nachrichten der Öffentlich-Rechtlichen angesehen, anschließend wird darüber diskutiert. Es wird viel über Performance, Meta-Ebenen des Journalismus und Erzähltechniken diskutiert, Narrative werden dekonstruiert und andere Blickwinkel beleuchtet.
Aufwachen! mit israelfeindlichen Narrativen
In der 20. Folge des da noch frischen Medienkritik-Podcasts konstatiert Stefan Schulz, als es (mal wieder) um die Berichterstattung über den Gaza-Streifen ging:
“Dennoch will ich mal so als Fazit sagen: Für fast alles was im Gazalandstreifen und in der Gaza-Stadt passiert, ist Israels Regierung verantwortlich, auch für die korrupten Zustände unter der palästinensischen Regierung.”
Quelle: A!020 – G7 Protest fällt nicht ins Wasser, aufwachen-podcast:, Juni 2015,
Min. 00:48:18 (aufgerufen: 22.11.2019)
Aus diesem Satz lassen sich sämtliche Meinungsäußerungen ableiten, die im Verlauf der langen Geschichte (am 21. November 2019 erschien die 411. Folge) des Podcasts gefallen sind und noch fallen werden. Es ist sowas wie der Kategorische Imperativ des Aufwachen! Podcasts.
Diese Geschichte beginnt als kleine Merkwürdigkeit, die schnell wieder in Vergessenheit geraten ist. Man muss ja schließlich nicht mit allem übereinstimmen, haben sich damals bestimmt einige Zuschauer*innen gedacht, als Tilo Jung in der ersten Folge des Aufwachen! Podcasts das US-amerikanische Gefangenenlager Guantanamo Bay als „Konzentrationslager“ bezeichnete, weil dort, wie sein Kollege Schulz ergänzte, „Terroristen konzentriert gelagert werden“.
Eine interessante Formulierung, wenn man bedenkt, dass das Wort Konzentrationslager im deutschen Sprachgebrauch die Arbeits- und Vernichtungslager des NS-Regimes bezeichnet. Der Brisanz dieser Äußerung waren sich wohl auch die beiden Podcast-Hosts bewusst, denn kaum war der Satz gefallen, antizipierte Schulz schon die empörten Zuschauerkommentare: „Das kann eventuell im Nachhinein wieder Kommentare geben, wenn Tilo Jung von Konzentrationslagern spricht“.
Abstruser wurde es schon eine Folge später, als Jung Günter Grass, ehemaliges Mitglied der Waffen-SS und Autor eines von vielen als israelfeindlich und antisemitisch kritisierten Gedichts, als „vorbildlichen Bürger“ bezeichnete, der auf das „deutsche, mediale Verständnis“ geprallt sei. Als Jung kurz darauf noch scheinheilig fragte, ob Grass (der – das sei an dieser Stelle noch einmal betont – Mitglied eines Kampfverbands mit direkter Beteiligung am Holocaust gewesen ist), nicht „persona non grata“ in Israel sei, antwortete ihm sein Kollege Schulz, dass die [Israelis] ja „sehr nachtragend bei manchen Sachen“ seien und da „viele religiöse politische Auseinandersetzungen sehr nachtragend geführt werden“ würden.
Kann man eben dargestelltes bestenfalls und wohlwollend noch als unbedachte Fehltritte interpretieren, wird das, sobald das Thema Israel direkt angeschnitten wird, schon schwieriger.
Bereits im Jahr 2009 schrieb Schulz in einem (mittlerweile nicht mehr auffindbaren) Blogbeitrag, „Contra-Israel zu sein“ hieße, ab sofort „vernünftig zu sein. Pro-Israel dagegen bedeute, faschistisch zu sein“, und ergänzte: „Was ab jetzt bleibt, ist, dass Israel ein faschistische Staat ist“.
Als Faschismus bezeichnet man gemeinhin eine nach dem Führerprinzip organisierte, totalitäre Herrschaftsform. Israel ist nichts von alldem.
Nimmt man es selbst mit Begrifflichkeiten und Definitionen nicht so genau, wird im Aufwachen! Podcast jede journalistische Bemerkung, sei sie auch noch so irrelevant, durch den antiisraelischen Fleischwolf gedreht. So bemerkt Jung in Folge 23, dass man immer dramatisierend von “Langstreckenraketen” rede, wenn Israel unter Beschuss steht, obwohl es doch nur “kleine Raketen” seien, mit denen die Hamas versucht, Juden auf der anderen Seite zu töten. In Folge 42 echauffiert er sich dann über einen Wortlaut in einem Tagesthemen-Beitrag: „Sie haben auch nur ‘besetzte Gebiete’ übersetzt, es ist eine Besatzung!“ Journalismus am Limit!
Derselbe Tagesthemen-Beitrag, der davon handelt wie der israelische Siedlungsbau eine palästinensische Staatenbildung gefährdet, treibt Jungs Kollegen Stefan Schulz zu einem grotesken Wutausbruch. Dieser Beitrag sei ein „Beispiel, warum es die Tagesthemen nur noch 5 Jahre gibt, und danach nicht mehr“, antwortet er aufgebracht, ein „ganz ruhig dahingeredeter Scheißbericht“ sei das gewesen, „der größte Müll (…), inhaltlich, den man sich vorstellen kann“. Sein Problem: Der Beitrag sei ihm zu objektiv „dahergeredet“, der Zuschauer hätte dabei kaum die Möglichkeit zu begreifen, wie schlimm Israel tatsächlich sei. Anschließend vergleicht er, und das ist besonders bedauerlich, den Gaza-Streifen mit Guantanamo Bay, dem Gefangenenlager, das er in Folge 1 als Konzentrationslager bezeichnet hatte.
Diese Form der Täter-Opfer Umkehr findet sich in der Podcast-Serie immer wieder: In Folge 293 plädiert Schulz dafür, den Begriff „Ghetto“ wieder zu verwenden. Jung meint, man solle sich „Intercept anhören. Jeremy Scahill [der Host des Podcasts ‘The Intercept’] spricht von Konzentrationslagern“. In Folge 370 ahmt Schulz den israelischen Präsidenten Netanjahu mit Hitler-Stimme nach und plärrt: „Wenn ihr mich wählt, liefern wir wieder Panzer nach Polen, und es bleiben unsere“. Diese regelmäßig wiederkehrenden Aussetzer sind auch manchen Zuschauer*innen sichtlich unangenehm, so dass es kritische Kommentare immer wieder in den Podcast schaffen. In Folge 61 antwortet Schulz auf den Kommentar eines Lesers, der ihm mangelndes Geschichtsbewusstsein bezüglich Israel vorwirft, mit dem Vorlesen eines Sloterdijk-Zitat aus “Zorn und Zeit”:
„Der Preis für das Verständnis der oft genug niederschmetternden Schicksale Israels, als Teil einer Pädagogik des Gotteszorns, gegen sein eigenes Volk, bestand in einer folgenschweren Verinnerlichung von Gewalterwartungen.“
Anschließend konstatiert Schulz: „Geschichtsvergessenheit ist vielleicht genau das, was die Lösung bietet, wenn man nach Israel und Palästina schaut“.
Aber auch für Verschwörungstheorien ist man sich nicht zu schade: In Folge 11 raunt Jung, in der Palästinenserfrage würde ihm niemand ungeschminkt die Wahrheit vortragen. Nur im persönlichen Gespräch würde man ihm die Dinge anvertrauen, die man sich in der Öffentlichkeit nicht zu sagen traue. Schulz legt nach und fragt, warum es denn keine Intellektuellen gebe, die sich trauten, Israel zu kritisieren.
Es ist ein Blick ein eine bizarre Parallelwelt.
Zum Eurovision Song Contest, der 2019 zum dritten Mal in Israel stattfand, bewarb Tilo Jung “Breaking The Silence”, deren führendes Mitglied Yehuda Shaul (fälschlicherweise!) behauptet hatte, Israelis würden die Brunnen in der Westbank vergiften – Ein uralter antisemitischer Topos, der im Mittelalter zu Pogromen mit hunderttausenden jüdischen Todesopfern führte. Bereits 2016 war bekannt geworden, dass diese Organisation Zeugenaussagen von israelischen Soldaten frei erfunden hatte.
Des Weiteren bezeichnete Jung die antizionistische Aktivistin Ahed Tamimi als Friedensaktivistin. Tamimi behauptete jüngst in einem Interview mit Russia Today, die britische Regierung würde vollständig von Israel kontrolliert werden und rief in einem Interview mit France24 zu einem Volkswiderstand auf, der auch mit „Messerattacken” und „Selbstmordanschlägen” geführt werden solle. Jung hat den Tweet bis heute nicht gelöscht.
Was Jung allerdings doch löschte, ist ein anderer Tweet. Er hatte hier behauptet, dass die „israelische Regierung“ den Bundestag dazu gebracht hätte, die antiisraelische Boykottbewegung BDS als antisemitisch zu deklarieren. Eine absurde Verschwörungstheorie, erst recht wenn man bedenkt, dass es in der vorangegangenen Diskussion viele Äußerungen von Wissenschaftler*innen gegeben hatte, die den Antisemitismus des BDS dokumentieren.
Wenn man aber bedenkt, dass der Gründer der BDS-Bewegung Omar Barghouti einen so tollen Eindruck auf Jung hinterlassen haben muss, dass dieser ihn bei Twitter als “wirklich wundervoll” bezeichnete, dann wird da doch ein Schuh draus.
Auch im zum Podcasts dazugehörenden Forum, wo sich die Community über Gott und die Welt und natürlich auch über Israel austauscht, findet sich allerlei Kurioses. So gefiel Jung z.B der Beitrag eines Nutzers, der behauptete, die Hamas sei „demokratisch legitimiert“ und Israel sei Mitschuld am Erstarken der Terrororganisation. Abgesehen davon, dass das wieder eine Täter-Opfer Umkehr ist, ignoriert Jung mit seinem Like unter solch einem Kommentar, dass es in den Gebieten seit 2006 keine Wahlen mehr gegeben hat, so dass es absurd ist, von einer demokratischen Legitimation zu sprechen.
Ausdrücklich zu erwähnen ist außerdem, dass sich die Hamas in ihrem Gründungsdokument (mehrfach) auf das antisemitische Pamphlet “Die Protokolle der Weisen von Zion” bezieht und es als religiöse Pflicht eines jeden Muslims ansieht, für die Eroberung Israels zu kämpfen.
Mediales Aufsehen erregte Jungs Interview mit dem Fatah-Sprecher Husam Zomlot, in dem dieser die Fatah zur palästinensischen SPD und die Hamas zur CDU erklärte. Die Nachfrage Jungs, ob die Hamas so wie „Angela Merkels Partei in Deutschland, nur mit Gewalt“ sei, bejahte Zomlot sofort. Diese absurde Gleichsetzung blieb von Jung unwidersprochen.
Nun könnte man einwenden, dass unkommentierter Journalismus, der sein Konzept darin sieht, Leute mit harmlosen Fragen zu konfrontieren und darauf zu hoffen, dass diese sich verplappern und selbst entlarven, seine Daseinsberechtigung hat. Im Bezug auf Israel allerdings deutet jedoch nichts darauf hin, dass Jung seine Rolle als Journalist noch wahrnimmt. Vielmehr ist er schon längst in die Rolle des antiisraelischen Aktivisten gewechselt, was sich in seinem Projekt “Jung & Naiv” wie auch in dem Aufwachen! Podcast spiegelt.